Epochal - Eine Reise durch die Zeit

Inhalt:

Die Zukunft liegt in der Vergangenheit

- Sitala Helki -

 

Seit seiner Jugend verfolgt Titus nur ein Ziel. Überzeugt davon, dass Zeitreisen physikalisch möglich sind, steckt er tagtäglich seine gesamte Freizeit in die Umsetzung dieser Vision. Beziehungen jedweder Art vermeidet er, leidglich sein bester Freud Kai begleitet ihn all die Jahre. Dieser macht den Fahrradunfall, den Titus vor gut zwanzig Jahren erlitt, für diese Besessenheit verantwortlich. Als Titus nun ernsthaft glaubt, die richtige Formel gefunden zu haben, lässt sich Kai erweichen, ihm beim Bau einer Zeitmaschine zu helfen.
Doch die enge Zusammenarbeit weckt tief vergrabene Gefühle in Kai und er fragt sich, wie ihr Leben wohl ohne diesen unsäglichen Unfall verlaufen wäre. Und sollte Titus es tatsächlich geschafft haben, wäre es dann legitim, ihre Vergangenheit zu ändern?

 

 

Eine adäquate Ehe

- Karo Stein-

 

England 1924

Patrick Talbot, Rechtsanwalt und Sohn eines reichen Industriellen, reist zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester Cynthia auf Einladung des Earls und der Countess of Davenham nach Westmore Castle. Seine Schwester wird, dank ihrer Mitgift, als Ehefrau des älteren Sohns und zukünftigen Earls, Robert Baring, gehandelt. Ein Arrangement, das in beiderseitigem Interesse liegt.
Als Patrick dort eintrifft, muss er feststellen, dass er den möglichen Ehemann seiner Schwester bereits in London in einem sehr speziellen Club kennengelernt hat. Neben der Angst, dass ihr Geheimnis entdeckt werden könnte, besteht jedoch auch eine große Anziehungskraft. Eine Zukunft für diese unangemessene Liebe sieht Patrick nicht. Sein Herz hat dazu jedoch eine eigene Meinung.

 

 

Es ist nie zu spät

- Mia Grieg -

 

Fast fünfzig Jahre hat Bruno die Erinnerung an die Monate, die sein Leben auf den Kopf stellten, tief in seinem Inneren begraben. Nur selten ließ er die Bilder in seinem Kopf zu. Nach dem Tod seiner Frau scheint der Augenblick gekommen, seinem Sohn die Wahrheit zu erzählen. Er taucht ein in die lang vergangene Zeit und sie scheint so lebendig, als sei alles gerade erst geschehen. Ist es je zu spät, sich nach der Liebe seines Lebens zu sehnen?

 

 

Marleys Träume

- Caro Sodar -

 

Der junge Medizinstudent, Marley Hughes, kann es kaum erwarten, seiner nasskalten Heimat den Rücken zu kehren und per Schiff nach Indien aufzubrechen. Schon lange ist er von dem fernen Land fasziniert, das ihn sogar bis in seine Träume begleitet. Dort trifft er jedoch nicht nur auf Elefanten und wilde Natur, sondern auch auf einen attraktiven Mann, dessen dunkle Augen ihn sofort in ihren Bann ziehen. Aber der schöne Fremde ist nur eine Ausgeburt seiner Fantasie oder etwa nicht? Trotz aller Unsicherheiten ist Marley davon überzeugt, dass sich in Indien sein Schicksal offenbaren wird. Allerdings hätte es gern weniger dramatisch daherkommen dürfen.


Leseprobe: »Die Zukunft liegt in der Vergangenheit«

Titus ist schlau, um nicht zu sagen: genial. Doch das altbekannte Vorurteil, Genie und Wahnsinn lägen nah beieinander, wird von meinem besten Freund immer wieder aufs Neue bestätigt. Titus ist Physiker, einer der besten der Welt, vermutlich sogar der beste. Sozusagen der Sheldon Cooper der Sheldon Coopers. Newton, Curie, Einstein, Hawking – sie alle stellt er in den Schatten. Oder täte es zumindest gern persönlich. Denn er durfte keine dieser Koryphäen je lebend kennenlernen. Schon seit Jahren lebt Titus außerhalb der normalen Welt. Abgesehen von seiner Arbeit sind ihm alltägliche Dinge wie Hausarbeit, Kochen oder ein Urlaub mittlerweile völlig fremd. Er hat sich in diese eine Idee verrannt. Seit einem Fahrradunfall kurz vor unserem Abitur funktioniert sein Gehirn anders. Er war schon vorher schlau. Dass er das Abitur mit 1,0 bestehen würde, stand immer außer Frage. Doch dieser Unfall veränderte ihn. Nahezu besessen von einer Art Vision fieberte er die letzten zwanzig Jahre nur darauf hin, diese eine Errungenschaft zu verwirklichen.

 

»Jetzt guck nicht, als sei ich plötzlich zu einem sprechenden Brot mutiert. Du wusstest doch, dass ich es eines Tages schaffe. Das hab ich dir immer wieder versichert. Jetzt kann ich sie endlich alle besuchen.« Titus hüpft in meiner Küche herum wie ein Fünfjähriger vor dem Weihnachtsbaum voller Geschenke. Nur dass Hochsommer herrscht und Geschenke gibt es ebenfalls nicht. Was angesichts der Tatsache, dass ich heute Geburtstag habe, sogar angemessen wäre. Doch für derart profane Dinge fehlt dem Herrn leider der Sinn. Viel zu unwichtig.

»Verstehst du denn nicht, was das bedeutet, Kai?« Er packt meine Schultern und schüttelt mich. »Zeitreisen. Wir können überallhin. Durch die Raumzeit. Vergangenheit, Zukunft …«

Ich entwinde mich seinem Griff. »Und wo ist deine tolle Zeitmaschine? Fliegen wir gleich mit ’nem Delorian ’rum?« Er verdient meinen bissigen Tonfall nicht, andererseits bin ich momentan einfach nur genervt. Mein Chef hat mir vorhin noch einen Auftrag reingewürgt und wenn ich meinen Bonus bekommen will, kann ich nicht ablehnen. Zu Beginn meines Studiums hatte ich mir den Beruf des Innenarchitekten deutlich romantischer vorgestellt. Jetzt fühlt es sich nur noch wie Fließbandarbeit an.

»Spotte du nur.« Titus dreht sich um sich selbst und reckt dabei die Arme in die Höhe. Dann sieht er mich an und deutet auf seine Schläfe. »Hier. Hier drin ist alles.«

»Na, da pass ich aber nicht rein.« Allmählich vergeht mir die Lust, mich auf seinen Blödsinn einzulassen. Ständig erzählt er mir irgendwelchen Kram von Einstein, Rosen, Singularitäten und all dem Kram, den man eher aus Science-Fiction-Serien kennt. Außerdem habe ich Hunger und bin zudem enttäuscht, dass mein bester Freund wieder einmal meinen Geburtstag vergessen hat.

»Du Dummerchen.« Titus lacht. »Du reist natürlich nicht in meinem Kopf, aber letzte Nacht kam mir die Erleuchtung. Es ist so simpel. Albert wird Augen machen und sich in den Hintern beißen, dass er es selbst nicht entdeckt hat.«

»Albert?«, frage ich. Mir wäre nicht bekannt, dass einer seiner Kollegen oder Vorgesetzten so heißt.

»Na, Einstein.« Er lacht. »Ihn werde ich natürlich als Erstes besuchen. Vielleicht kurz nach der Veröffentlichung seiner Relativitätstheorie«, sinniert Titus.

»Dir ist schon bewusst, dass du dann mitten im Krieg landest, du Schlauberger?«

»Krieg?«

Schmunzelnd schüttle ich den Kopf. »Sind deine Geschichtskenntnisse tatsächlich derart schlecht? Wann hat Einstein denn die Relativitätstheorie veröffentlicht?«, frage ich eher rhetorisch gemeint.

»Die spezielle war 1905, die allgemeine 1916«, erwidert er wie aus der Pistole geschossen.

Es gab zwei? Ich versuche mir meine Überraschung nicht allzu sehr ansehen zu lassen. Denn vermutlich hat er mir das bereits schon mehrfach erzählt. Ich räuspere mich. »Äh, ja genau. Und wann fand der Erste Weltkrieg statt?«

Mit skeptischem Blick zieht er eine Augenbraue hoch. »Neunzehnhundertirgendwas. Wen interessiert das?«

»1914 bis 1918. Also eine denkbar schlechte Zeit für eine Stippvisite, sofern du beabsichtigst zurückzukommen.«

Titus winkt ab. »Was hab ich denn mit dem Krieg zu tun?«

»Etwa genau so viel wie all die anderen, die unschuldig gestorben sind.« Im Grunde glaube ich nicht ernsthaft daran, dass es funktioniert, aber für den ganz unwahrscheinlichen Fall möchte ich meinen besten Freund doch gern in einem Stück und lebend zurückhaben. Sofern er noch mein bester Freund ist, wenn er zurückkehrt. Schließlich könnte er ja sonst was anstellen und damit die gesamte Zukunft ändern. »Sag mal, wie ist das eigentlich? Wenn du in die Vergangenheit reist und etwas änderst, ändert sich dann auch unsere Zukunft? Also Gegenwart … oder auch Vergangenheit …« Mir schwirrt bereits jetzt schon der Kopf.

Titus zuckt mit den Schultern. »Ja klar. Denn an dem Punkt der Vergangenheit ist diese Zukunft noch nicht geschehen«, erklärt er lapidar.

»Das heißt, man könnte verhindern, dass bestimmte Leute Präsident werden, zum Beispiel?« Oh, welch wunderbarer Gedanke.

Abwägend wiegt er den Kopf hin und her. »Das wär sicher alles andere als simpel. Schließlich bedarf es da nicht nur der Änderung eines einzelnen Ereignisses. Aber ganz grundsätzlich: ja. Man könnte alles ändern. Dass du als Kind deinen kleinen Zeh verlierst, zum Beispiel.«

Als spürte ich wieder die Schmerzen von damals, krümmen sich automatisch die verbliebenen vier Zehen meines rechten Fußes. »Und womit fliegt deine Maschine?« Ich gebe zu, ich bin ein unbelehrbarer Science-Fiction-Fan, deshalb machen mir solche Spekulationen Spaß. »Müssen wir demnächst in ein Kraftwerk einbrechen und Uran klauen?«

»Ja, ja. Mach dich nur lustig. Uran, also wirklich …« Er schüttelt missbilligend den Kopf. »Vielleicht sollte man die Sache mit der Kernspaltung aber tatsächlich aus der Geschichte streichen …« Daran, wie er die Unterlippe einzieht, erkenne ich, dass er bereits wieder gedanklich abdriftet.

»Titus!« Ich schnippe vor seinem Gesicht.

»Hm? Ach so, ja. Es wird natürlich mit einem von Solarenergie gespeisten Akku angetrieben.«

»Natürlich«, echoe ich sarkastisch. »Darfst du halt nur nicht zu weit in die Zukunft reisen. Du weißt schon, keine Sonne mehr und so.« Ich drehe mich um und hole eine Bierflasche aus dem Kühlschrank. Happy Birthday.

»Als hätte ich das nicht bedacht. Der Akku wird immer genug Kapazität für die Rückkehr besitzen.«

»Selbstverständlich. Wie konnte ich daran zweifeln?« Seufzend öffne ich den Bügelverschluss der Flasche und trinke einen Schluck. »Wann bekomm ich das gute Stück denn mal zu sehen?«

»Das dauert noch«, gibt er zu. »Mir fehlen noch einige Materialien und ich bin ja auch nicht sonderlich geschickt, was das Handwerkliche angeht.« Übertrieben klimpert er mit den Wimpern. Das war so vorhersehbar. Wie immer, wenn mein Freund mich um einen Gefallen bittet, knicke ich umgehend ein.

»Schon klar. Ich helf dir.«

»Oh klasse!« Titus fällt mir um den Hals und drückt mir einen Kuss auf den Mund. Gerade so kann ich die Bierflasche weghalten. Schaum läuft über meine Hand. Was ist denn in ihn gefahren? Nicht, dass ich mich beschweren will, aber wir sind Freunde und derart emotional reagiert er sonst nie.

Nervös lachend löse ich mich von ihm. »Ganz ruhig. Kannst dich bedanken, indem du mir einen Lottogewinn bescherst.« Grinsend lecke ich den Schaum von meiner Haut und schaue zu Titus.

Schlagartig wandelt sich sein Blick. Harte Züge legen sich um seine Augen sowie seinen Mund. »Diese Technologie darf niemals verwendet werden, um sich einen eigenen Vorteil zu verschaffen, verstehst du?«

Ich halte inne, schlucke und nicke stumm, denn sein Ausdruck und die Kälte in seiner Stimme jagen mir eine riesige Angst ein. »War doch nur ein Scherz«, versuche ich ihn zu beruhigen. Außerdem wird das doch eh nie klappen.

Titus’ Blick bleibt skeptisch. Kann ich verstehen, ich würde mir auch nicht glauben. »Aber du bringst mich dazu, da-rüber nachzudenken, wem ich von diesem Durchbruch erzählen kann. Vermutlich denkt jeder Mensch ähnlich wie du.« Er setzt sich an den Küchentisch und trommelt mit den Fingern auf die Platte. Ich lehne mich gegen die Arbeitsplatte und leere die Flasche in einem Zug. Sicher nicht die schlaueste Idee, ohne etwas gegessen zu haben, aber egal. Ich brauche etwas, das mich von meiner Enttäuschung und diesem Kribbeln ablenkt. Titus ist nicht schwul. Er ist … keine Ahnung, einfach zwischenmenschlich nicht interessiert. Er hatte noch nie einen Partner oder eine Partnerin und er macht auch nicht den Eindruck, als vermisse er es. Seine einzige Liebe ist die Physik.

Schließlich schüttelt er den Kopf. »Ich kann niemandem davon erzählen.« Verblüfft sieht er mich an. »Es gibt tatsächlich nicht eine einzige Person, der ich genug vertraue.«

»Außer mir.« Ich zwinkere ihm zu und grinse.

Wieder zieht er die Unterlippe ein. Diese Geste ist so niedlich. Das hat er schon als Junge getan und mir das eine oder andere Mal eine gehörige Portion Selbstdisziplin abverlangt. Ich sollte schleunigst an etwas anderes denken. Tote Mäuse im Keller, verstopftes Klo … »Na ja«, erwidert er skeptisch.

»Ey!« Ich stelle die leere Bierflasche auf die Arbeitsplatte und verschränke die Arme. Allmählich nervt er. Erst recht, wenn er meine Vertrauenswürdigkeit anzweifelt.

»Vielleicht sollte ich als Erstes in die Vergangenheit reisen und mich daran hindern, mit dir zu reden.«

»Und wer hilft dir dann beim Bauen?«, frage ich lauernd. Sein Gesichtsausdruck verrät die Erkenntnis, worauf ich hinauswill. »Denn wenn ich davon nichts weiß, hast du keinen, der dir den Kasten zusammenzimmert, und damit auch keine Maschine und du kannst nicht mehr zurück.«

»In Grunde wär ich dann gar nicht in der Vergangenheit, weil ich nie hätte hinreisen können … also in der Zukunft.«

Klar, logisch. Oder?


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